Das eigentlich Undenkbare ist geschehen: Mit knapper Mehrheit haben die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt. Als erste unmittelbare Folge brach der Pfund-Kurs ein und sackte auf ein 31-Jahres-Tief ab. Auch die internationalen Aktienmärkte verloren enorm an Wert, der deutsche DAX sackte zu Handelsbeginn um 10 Prozent ab. Doch es gibt auch langfristige Folgen für die Märkte, die aktuell noch nicht spürbar sind.
So ging die Wahl aus
Laut der BBC haben 51,9 Prozent der Briten für einen Austritt aus der EU gestimmt. Die meisten Gegner stammen dabei aus dem Norden Englands, der wirtschaftlich in den letzten Jahren zu kämpfen hatte. Komplett anders sieht das Bild in der Hauptstadt aus: Ein Großteil der weltoffenen Londoner sprach sich für einen Verbleib in der Union aus. Auch in Nordirland, Schottland und Gibraltar gewannen die EU-Befürworter teils deutlich.
Bei einer Wahlbeteiligung von 72,1 Prozent entschieden sich trotzdem 17,4 Millionen Briten für den Austritt. Premierminister Cameron kündigte aufgrund dieses Ergebnisses direkt seinen Rücktritt an. Er hatte das Referendum 2013 vorgeschlagen, um EU-Kritiker in der eigenen Partei ruhigzustellen. Im Wahlkampf sprach er sich klar pro EU aus und trägt jetzt die Konsequenzen.
Trubel an den Märkten
Es war im Vorhinein klar, dass sowohl die Devisen- als auch die Börsenmärkte bei einem Brexit einbrechen würden. Ein Blick auf das britische Pfund:
Schon in der Nacht brach der Kurs GBP / EUR um rund 10 Prozent ein – ein historisches Tief. Im Laufe einer sehr volatilen Marktphase erholte sich der Kurs etwas, weitere Schwankungen in den nächsten Stunden und Tagen gelten aber als sicher. Ähnlich dramatisch sieht die Lage bei GBP / USD (rechts in der Abbildung) aus. Auch hier gab es in den frühen Morgenstunden Einbrüche von über 10 Prozent, bis sich der Kurs gegen Mittag wieder etwas erholte. Die Volatilität wird aber weiterhin hoch bleiben.
An den Aktienmärkten sieht es ebenfalls nicht wirklich besser aus: Der deutsche Leitindex DAX fiel zum Handelsbeginn von über 10.000 Punkten auf knapp 9.300. Aktuell bewegt sich der Verlust im Bereich von 5 bis 10 Prozent. Ruhig geblieben ist es nur auf dem amerikanischen Markt, der Dow Jones stieg bis kurz vor Handelsschluss sogar um 1,5 Prozent.
Auswirkungen des Brexit auf die europäische Wirtschaft
Der Brexit wird auch langfristig nachhaltigen Einfluss auf die Märkte haben. Großbritannien ist eine der größten Volkswirtschaften der EU und zudem das Finanzzentrum Europas. Viele hier ansässige Banken werden ihren Hauptsitz vermutlich anderweitig aufbauen, um weiterhin die Vorteile der Staatengemeinschaft (freier Warenverkehr, Arbeitserlaubnis für alle Bürger) nutzen zu können. Für große Finanzmetropolen wie Frankfurt kann das Vorteile mit sich bringen, insgesamt entsteht aber enormer Verwaltungsaufwand für die Banken selbst. Inwiefern sich das auf Verbraucher auswirken wird, ist bislang aber völlig unklar.
Entscheidender ist, dass Großbritannien mit allen bisherigen Handelspartnern neue Freihandelsabkommen abschließen muss. Wie der aktuelle Fall TTIP zeigt, ein schier unmögliches Unterfangen. Vor allem Deutschland ist mit einem Aussenhandelsvolumen von 170 Milliarden Euro stark betroffen. Konzerne, die bevorzugt auf dem britischen Markt agieren, werden künftig Probleme haben. Selbiges war etwa der Fall, als die EU umfangreiche Sanktionen gegen Russland beschloss. Hierunter litt vor allem der Bereich Maschinenbau, der massiv nach Russland exportierte.
Natürlich sind vom Brexit in erster Linie britische Konzerne betroffen. Rund die Hälfte der Exporte, gehen von der Insel aufs europäische Festlands über – mit allen Vorteilen wie freiem Warenverkehr, fehlenden Zöllen und einheitlichen Produktvorschriften. Investitionen auf der Insel lohnen sich für Anleger also derzeit kaum.
Wie sollten Anleger aktuell verfahren?
Wer im Besitz von Aktien ist, sollte Ruhe bewahren. Die Einbrüche am Dax und den anderen europäischen Märkten waren vorprogrammiert. Es handelt sich eher um temporäre Krisen, die Anleger am besten aussitzen sollten. Vor allem große europäische Konzerne werden nicht dauerhaft unter dem Brexit leiden, der britische Markt macht meist nur einen kleinen Anteil am Umsatz aus. Viel wichtiger sind der komplette europäische Binnenmarkt, Nordamerika und Asien.
Anders sieht es beim Kurs des britischen Pfunds aus. Die Währung könnte tatsächlich nachhaltig an Wert verlieren und auf mittlere Sicht nicht mehr an den alten Kurs heranwachsen, prognostizieren Währungs-Analysten. Spekulationen auf Kursgewinne oder Kursverluste – etwa mit CFDs oder Optionen – rechnen sich aktuell trotzdem nicht mehr. Hierfür wäre vor der Bekanntgabe der Entscheidung der richtige Zeitpunkt gewesen, aktuell ist die Marktlage zu volatil.
Wie geht es nach dem Brexit weiter?
Noch ist Großbritannien natürlich nicht offiziell aus der EU ausgetreten. EU-Parlamentspräsident Schulz hat aber bereits verkündet, die Verhandlungen möglichst schnell aufnehmen und zeitnah abschließen zu wollen. Eine monatelange Hängepartie solle es laut Schulz nicht geben, das sei „nicht im Interesse beider Seiten“.
Von Interesse ist es anschließend auch, wie sich die anderen Staaten des britischen Königreichs verhalten. Es ist durchaus denkbar, dass Schottland sein Referendum über die Mitgliedschaft nochmal abhält – und sich dieses Mal für den Austritt aus dem Commonwealth aber für den (Wieder-)Eintritt in die Europäische Union entscheidet. Selbiges könnte für Nordirland und Gibraltar gelten, weil die EU-Befürworter in beiden Staaten die Mehrheit erreichen konnten. Spanien hat beispielsweise bereits angekündigt, seinen historischen Anspruch auf Gibraltar geltend machen zu wollen.
Bedenklich sind die Reaktionen aus anderen europäischen Staaten. Rechtspopulisten wie Marie Le Pen oder der Niederländer Geer Wilders forderten bereits ein Volksreferendum nach britischem Vorbild. Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass derlei Anträgen stattgeben wird bzw. dass eine Abstimmung Erfolg haben könnte.
Profit aus dem Kurseinbruch schlagen
Jede Krise ist auch immer wieder eine Chance – hier eine Chance Top-Aktienwerte zu einem günstigen Kurs kaufen zu können. Viele Aktien brachen nämlich ein, obwohl sie nicht oder nur minimal von einem EU-Austritt Großbritanniens betroffen sind. Wer hier nun einsteigt – oder sein Investment sogar mit Optionen oder Zertifikaten hebelt, kann aus dem Kurseinbruch in den nächsten Wochen und Monaten sogar einen guten Gewinn mitnehmen.
Erfahrungsgemäß dauert es mindestens 2 Wochen nach einem solchen Ereignis, bis sich der erste Trubel etwas legt und eine Gegenbewegung eintritt. Wer noch vorsichtiger sein möchte, sollte nach 2 Monaten einen Blick auf die Aktienbewegungen werfen – Wenn die Kurse dann schon leicht steigen, steht einem Kauf nichts mehr im Wege und man kann sein Depot günstig auffüllen.
Fazit: Ruhe bewahren
Das Worst-Case-Szenario ist eingetroffen: Großbritannien hat sich für den Brexit entschieden. Für Anleger heißt es trotzdem erstmal, Ruhe zu bewahren. Die Kurseinbrüche an den europäischen Aktienmärkten sind normal und waren so von Experten prognostiziert worden. In einigen Wochen werden sich die Kurse voraussichtlich wieder erholt haben – mit Ausnahme des britischen Pfunds. Dennoch sollte auf Währungsspekulationen verzichtet werden, weil der Markt aktuell deutlich zu volatil ist. Zusätzlich sollten natürlich die weiteren Entwicklungen in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt analysiert werden. Es gilt, ein besonders wachsames Auge auf das eigene Portfolio zu haben und die Informations-Einholung zu verstärken.